MZ 07.03.2012
Artikel von Danny Gitter – Zeit ist ein kostbares Gut für eine viel gefragte Pianistin. Und trotzdem brachte Ragna Schirmer vorige Woche genügend davon mit, um elf Musikschüler aus Dessau und Coswig in einem Meisterkurs zu unterrichten. Die in Halle lebende Pianistin ist Schirmherrin der Kinderoper „Oskar und die Groschenbande“, die am Sonnabend im Rahmen des Kurt Weill Festes uraufgeführt wird. „Ich wollte als Schirmherrin nicht nur meinen Namen im Programm lesen, sondern einen aktiven Beitrag leisten“, so Schirmer. Weil ihr die Nachwuchsförderung am Herzen liege und sie zu Generalmusikdirektor Antony Hermus und Joachim Landgraf vom Förderkreis der Musikschule ein freundschaftliches Verhältnis pflege, konnte sie den Beiden kaum den Wunsch abschlagen, sich in der Medicusstraße persönlich um den Nachwuchs zu kümmern.
Klavier, manchmal auch in Kombination mit Cello, Geigen und Gesang, wurde fleißig geübt im Konzertsaal der Musikschule. Da sitzen am Freitagnachmittag Imke Stabenow am Steinway-Flügel und Magdalena Schwiercz am Cello, um ihr Können der prominenten Lehrerin zu zeigen. Mal heiter, mal melancholisch ist die musikalische Grundstimmung. Angespannt und hochkonzentriert sind die Eleven, locker die Lehrerin. Diese Gelassenheit versucht Schirmer auch auf die Mädchen zu übertragen. Diese wollen Leistung in Perfektion abliefern. Zählen die Takte. Suchen Harmonie im Tempo ihrer beiden Instrumente. Schirmer entkrampft das Spiel mit Ratschlägen. Sie empfiehlt, ein Gefühl für den Puls der Musik zu entwickeln, das Zählen zu lassen und sich ganz auf Tempo und Geschehen einzulassen. Zögernd löst sich auch die Spannung bei Stabenow und Schwiercz. „Plötzlich ist man frei“, beschreibt Schirmer das Gefühl, wenn das Diktat der Noten im Kopf überwunden ist und Musik einfach passiert. In all den Kleinigkeiten das große Bild nicht zu vergessen, gibt Schirmer ihren Schützlingen nach der Stunde mit auf den Weg.
Die lassen sich schnell noch Autogramme geben, ehe im fließenden Übergang wenige Augenblicke später Urte Alvermann Platz nimmt und eine Kostprobe einer Klaviersonate von Haydn gibt. Das konzentrierte Spiel der Schülerin geht einher mit dem konzentrierten Zuhören der Lehrerin. Philosophieren über Üben, Noten und praktische Fingerübungen lassen eine Dreiviertelstunde wie im Flug vergehen. Die Protagonisten sind zufrieden. „Ich habe sinnvolle Tipps bekommen“, sagt Alvermann. „Die Schüler sollen möglichst viel für sich mitnehmen. Das Gefühl etwas für die Schüler erreicht zu haben, ist mir wichtig“, erklärt Schirmer. Die Rechnung scheint aufgegangen. Für Alvermann war es eine außergewöhnliche Unterrichtsstunde in ihren zwölf Jahren Klavierunterricht. „Ich war heute schon aufgeregter als sonst beim Üben, aber nicht so wie bei einem öffentlichen Auftritt“, erzählt die Abiturientin.
Meisterhaft finden übereinstimmend Schülerin und Lehrerin ihr Arbeitsgerät, den Steinway-Flügel. „Die direktere Umsetzung beim Spielen im Vergleich zu anderen Flügeln ist ein Unterschied wie Tag und Nacht“, schwärmt Alvermann. „Auf der Skala von Trabant bis Ferrari, ist solch ein Flügel natürlich ein Ferrari“, so Schirmer. Auch wenn die Pianistin gerne auf edlen Instrumenten spielt, hat sie sich schon manches Mal mit Weniger zufrieden geben müssen. „Es gab auch schon Konzerte, wo ich mit einem Trabant das Rennen fahren musste“, so Schirmer. Der Leidenschaft für das Spiel im Allgemeinen tue das keinen Abbruch. „Klavierspielen ist gleichermaßen Handwerk und Philosophie“, schwärmt die Pianistin. Diese Begeisterung für den Beruf hat sich auch größtenteils auf ihre Meisterschüler in der Medicusstraße übertragen.