MZ 02.10.2011
„Es war Liebe auf den ersten Blick“, gesteht Ute Mahlo, Leiterin der Musikschule, in aller Öffentlichkeit. Und der Geliebte zeigt sich sogleich in voller Leidenschaft, licht wie die Frühlingsluft, staubig wie die Poesie der Puszta, hintergründig, klar und perlend auch. Es ist ein Steinway-Flügel geworden, der am Sonnabend während eines festlichen Konzertes an die Musikschule Dessau-Roßlau übergeben wurde.
„Der erste Applaus geht in die Runde“, sagt Joachim Landgraf, Vorsitzender des Förderkreises der Schule, zum Zeichen der Dankbarkeit, die alle einbezieht, Spender, Tastenpaten und jeden, der das Projekt unterstützt hat. 36 467 Euro seien auf dem Spendenkonto verbucht. 37 500 Euro habe das Instrument gekostet. Da habe man, so Landgraf, in Erwartung, dass der Flügel betöre, auf Risiko gearbeitet.
Ohne Risiko erscheint die Wahl des beratenden Experten. Gewonnen wurde Günter Klatt, der in der Berliner Philharmonie und in den Studios des SFB für Emil Gilels, Wilhelm Kempff und, die Liste ließe sich erweitern, Alfred Brendel Flügel in Stimmung brachte. Der Mann hat einiges zu erzählen, in einer musikalischen Plauderei, am 28. Oktober. Unter dem Motto „Unsere Träume haben Flügel bekommen“ wird das Instrument eine öffentliche Angelegenheit bleiben. Am „Abend des offenen Flügels“ im November kann nach Anmeldung, wer schon immer mal wollte, auf einem echten Steinway spielen. Konzerte folgen.
Aber nun wird die rote Schleife vom Flügel gezogen. In den ersten Tönen tanzt Annemarie Klein auf der Seele eines missgebildeten Possenreißers und führt den Traum nach Harmonie bündig zur bitteren Erkenntnis, „Polichinelle“ aus Fantasiestücke op. 3 von Sergej Rachmaninow. Später spielt sie mit Christoph Schreiber (Violine) aus Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 5 op. 24, den 1. Satz der „Frühlingssonate“: fantasierte Lauterkeit, klare Luft und lichte Wechsel von Melodiepart und Begleitung.
„Eine verrückte Idee hat funktioniert“, sagt Schreiber. Er, Annemarie Klein, Anne Meißner und Annemarie Schulze hatten 2008 Einnahmen ihres Abschiedskonzertes von der Musikschule für die Anschaffung eines Konzertflügels gespendet und das Projekt unkonventionell begonnen. Benefizkonzerte und die Idee der Tastenpartnerschaft folgten. Nun ist das Fest vor allem ein Konzert der ehemaligen Schüler, mit Friederike Liesche und Peter Ullmann, mit „Gespenstermärchen“ und „Abendlied“ von Robert Schumann zu vier verständigen Händen, oder mit Grenzübertritten Astor Piazzollas, dem Schöpfer des Tango Nuevo, mit Anne Meißner (Klavier) im Trio, mit knisternden Dissonanzen und rhythmischen Feinheiten. Claudius Lepetit (Violoncello) und Kapellmeister Wolfgang Kluge (Klavier) spielen drei Sätze aus Sonata in E von François Francour: Allegro, welch Feuer, vor allem aber rhetorisch schön. Symbolisch übernehmen zwei Schüler: Die kleine Jasmin Kunze (Violine), nicht nur beschaulich, zukunftsträchtig. Und wenn der jüngste Pianist, Arthur Fenger, den letzten Ton getroffen hat, wird zügig gedienert.
Konzertmeisterin Myra van Campen-Bálint beschönigt nicht, treibt den Staub vom Resonanzboden, eine raue, breite und deshalb betörend hintergründige Poesie, „Tzigane“ vom Maurice Ravel. Verrückt greift schwerelos und plastisch diese Melodie über eine Basslinie, die sich hier wenig beschränkt: Thomas Benke spielt Consolation Nr. 3 von Franz Liszt und schließt die Ungarische Rhapsodie Nr. 8 an: auftrumpfend, ein typischer Werbetanz, den Benke in verstörende Leidenschaftlichkeit führt. Ein Bonbon gibt es zum Schluss, Klavier zu vielen Händen, zeichenhaft, für die vielen Hände, die folgen.